Die Straße schlängelt sich durch Weinberge, die im Winterschlaf liegen. Je höher wir uns über Sierre erheben, desto sanfter wird das Licht, als würde es seine ganze Wärme entblößen. Die Sonne berührt die schneebedeckten Hänge der Alpen und taucht die zurückgeschnittenen Reben in goldene Strahlen – wie ein stilles Versprechen: „Habt Geduld, der Frühling naht.“ Neben mir sitzt Romain Favre, die Kappe tief ins Gesicht gezogen, der Blick klar, die Hände fest am Steuer. Er lenkt mit der Gelassenheit von jemandem, der jede Kurve auswendig kennt.
Ich hatte ihn vorher nie getroffen, aber seinen Namen kannte ich. In der Weinwelt des Wallis gehört er zur „neuen Generation“, zu den Winzern, die behutsam an den Traditionen rütteln – nicht laut, nicht rebellisch, sondern mit neugierigem Eifer und einer ansteckenden Leidenschaft. Obwohl er aus einer Winzerfamilie stammt, übernahm er keinen bestehenden Betrieb. Er gründete seinen eigenen. Favre t’Chippis ist seine Geschichte, sein Wagnis.
Oben angekommen, hält er vor einer kleinen Holzhütte, die er kürzlich übernommen hat. „Hier will ich etwas Besonderes schaffen“, erzählt er. „Ein Ort, an dem man sitzen, probieren und sich austauschen kann.“ Die Idee steckt noch in den Kinderschuhen, aber sein Enthusiasmus ist kaum zu übersehen, er sprudelt wie ein frisch geöffnetes Glas Schaumwein. Hinter uns liegt Sierre, eingehüllt in winterliches Licht, und weit unten schlängelt sich der Rhône ruhig seinen Weg.
Ein Winzer, der der Erde zuhört
Mit einfachen Bewegungen erklärt Romain seine Arbeit, als sei sie so selbstverständlich wie das Atmen. „Ich verlasse mich auf meine Sinne. Riechen, sehen, schmecken – sie weisen mir den Weg.“ Große Theorien interessieren ihn nicht. Er spürt das Jahr, die Launen des Wetters und die Eigenheiten der Böden. „Hier ändert sich alles ständig. Man muss sich jedes Jahr neu anpassen.“ Er zeigt auf den Boden unter uns – steinig, lebendig, voller Charakter. Chemische Unkrautvernichter haben hier keinen Platz mehr, denn der Weg in Richtung biologischer Anbau ist eingeschlagen. Für ihn ist das weniger Idealismus als vielmehr eine logische Entscheidung.
Ein Stück weiter den Hang hinauf entdecke ich einen Mann mit Motorsäge. Die Familie Favre ist nie weit entfernt. Doch sie ist kein Schatten, der über ihm liegt, sondern eine stille Präsenz, die ihm Orientierung gibt, während er etwas Eigenes aufbaut.
Lokale Rebsorten mit Geschichte
Romain bewirtschaftet Weinberge auf beiden Seiten des Rhône. Auf dem Tzararogne-Terroir wächst Savagnin blanc, hier bekannt als Heida. Auf den Hängen daneben gedeihen autochthone Sorten wie Rèze, Petite Arvine, Syrah und Cornalin. „Die Syrah hat es mir besonders angetan“, gesteht er mit einem Lächeln. „Aber die Rèze hat etwas Magisches.“
Diese Dualität prägt ihn: eine Leidenschaft für bekannte Rebsorten und ein tiefes Verantwortungsgefühl für alte, fast vergessene Trauben. Die Rèze zum Beispiel, ein historischer, oft unterschätzter Wein, findet bei ihm eine neue Chance. Über die Syrah spricht er wie über eine langjährige Liebe, während er die Rèze mit jener Zärtlichkeit beschreibt, die man für verlorene Schätze aufbringt, an die man noch glaubt.
Ein bescheidener Keller mit großem Potenzial
Zurück in seiner kleinen Kellerei wird schnell klar: Hier gibt es keinen unnötigen Schnickschnack. Alles ist schlicht, funktional und auf das Wesentliche reduziert. Er öffnet einige Fässer und lässt mich direkt daraus probieren. Die Weine sind jung und energiegeladen, aber darunter liegt etwas Tieferes, fast Meditatives.
Die Weißweine sind klar, salzig und geprägt von Mineralität. Die Rotweine sind strukturiert, mit feinen Tanninen und einer beeindruckenden Tiefe. Jede Cuvée erzählt die Geschichte ihres Bodens.
Die Rèze überrascht mich mit ihrer Frische und einer salzigen Note. Der Jahrgang 2023 ist schon jetzt hervorragend und wird sich über viele Jahre weiterentwickeln. Die Syrah ist perfekt ausbalanciert, mit einem Hauch von Gewürzen und floralen Aromen. Doch der Rosé ist der heimliche Star des Tages – lebendig, fruchtig, ohne überflüssige Spielereien. Obwohl ich normalerweise kein großer Rosé-Fan bin, würde ich mir gerne einen Karton für laue Sommerabende mitnehmen.
Die Zukunft der Winzer im Wallis
Während ich Romain beobachte, verstehe ich, warum er mit Winzern wie Alex Stauffer (Le Vin de l’A) und Raphaël Maye auf einer Wellenlänge ist. Sie alle vereint der Mut, Neues zu wagen, ohne die Wurzeln der Tradition zu kappen. Und sie teilen die Liebe zu charaktervollen Rotweinen – die Art, die man am besten in guter Gesellschaft genießt.
Als es Zeit wird, Abschied zu nehmen, spüre ich Dankbarkeit. Nicht nur für die Weine, sondern für dieses ehrliche Treffen mitten in den Weinbergen. Romain hat etwas Seltenes: Ambition, die nie arrogant wirkt, und Neugier, die Traditionen respektiert.
Als er mich zum Bahnhof in Sierre bringt, plane ich insgeheim schon meinen nächsten Besuch. Denn ich bin sicher: Seine Reben werden auch im nächsten Jahr viel zu erzählen haben.
Seine Website: https://favre-tchippis.ch
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